Ob beim Smartphone, E-Bike oder Elektroauto – wenn der Batteriestand zur Neige geht, denken wir nur daran: Wie lange noch reden, radeln, fahren? Und zudem stellt sich Frage, wie es mit der Lebenszeit der Batterie insgesamt aussieht und wie viele Lade- und Entladezyklen sie überhaupt noch mitmacht. Wirklich beantworten, lässt sich das bislang nicht. Genau das hat die Wissenschaftlerin Dr. Fuzhan Rahmanian, die bei Prof. Helge Stein an der TU München forscht, angespornt. Als Teil ihrer Doktorarbeit entwickelte sie unter anderem ein Modell namens ARCANA, das solche Fragen in Zukunft lösen wird. Kürzlich publizierte Rahmanian ihre Ergebnisse in Nature Computational Materials. „Mit ARCANA können wir jetzt auf fast magische Weise, die Lebensdauer von Batterien nach nur wenigen Zyklen vorhersagen“, sagt die gebürtige Iranerin, die Abschlüsse in Biomedizintechnik, Biophysik, Materialwissenschaften und Künstliche Intelligenz hat.
Vieles macht das Innenleben komplex
Doch warum ist das wichtig? Es gibt unzählige Materialkombinationen, chemische Prozesse und Designoptionen für die Entwicklung neuer Batterien. Es ist extrem zeitaufwändig, alle möglichen Kombinationen zu testen und dabei herauszufinden, wie sich Batterien im Laufe ihres Lebenszyklus verhalten. „Wenn ich mir zum Beispiel eine Batterie für 1.000 Lade- und Endladezyklen anschauen möchte und setze jeweils eine Stunde Lade- und Entladezeit voraus, wäre ich etwa elf Wochen beschäftigt“, erklärt Rahmanian. „So lange dauert es, um zu verstehen, wie sich der Zustand der Batterie entwickeln wird – und das spiegelt nicht gerade reale Szenarien wider.“ Das ist alles andere als optimal. Batterien sind aufgrund ihres komplexen Verhaltens, das vom Material, den beteiligten Grenzflächen und dem Gesamtsystem abhängt, sehr schwer zu modellieren.
Testmarathons für Batterien – bald Vergangenheit?
Um diese Herausforderung zu meistern, arbeitete die TUM-Forscherin in einem Gemeinschaftsprojekt mit der Firma BASF, die einen umfangreichen Datenschatz zur Verfügung stellte. „Dadurch konnte ich mein Modell mit einer Vielzahl von Daten aus verschiedenen Kombinationen trainieren und hatte eine umfangreiche Wissensbasis. Das ist eine wichtige Voraussetzung, damit das Modell genaue Vorhersagen treffen kann“, sagt Rahmanian. Die Talente von ARCANA verstecken sich im Namenskürzel: Es steht für Attention-based Recurrent Algorithm for Neural Analysis. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass das Modell Daten effizienter analysieren kann, indem es sich auf wichtige Aspekte fokussiert – sprich aufmerksamer ist – und Gewichtungen vornimmt oder Beziehungen zwischen Parametern herstellt. Das Modell kann so identifizieren, welche Zyklen, Parameter oder Materialien den größten Einfluss haben. Dies ist besonders nützlich für Batterien mit unterschiedlichen chemischen Zusammensetzungen. „Wir können mit unserem Modell die Lebensdauer praktisch aller Batterietypen vorhersagen“, sagt die TUM-Forscherin. „Wie lange bleibt die Batterie im Handy leistungsfähig? Was sind die besten Kombinationen für Batteriezellen in Elektroautos? Nach wie vielen Zyklen ist ein Material einem anderen vorzuziehen?“, zählt Rahmanian einige Beispiele auf. Das benutzerfreundliche Design macht ARCANA zu einem Tool, mit dem sich Batterietests im Labor online überwachen lassen – und es eignet sich für Laboranwendungen bis hin zu industriellen Designs, bei denen viele Batterien gleichzeitig getestet werden müssen. Mit dem Modell hat die Forscherin ein wertvolles Werkzeug entwickelt, das die Entdeckung neuer Materialien immens beschleunigen kann.
Veröffentlichung
Attention towards chemistry agnostic and explainable battery lifetime prediction
Fuzhan Rahmanian, Robert M. Lee, Dominik Linzner, Kathrin Michel, Leon Merker, Balazs B. Berkes, Leah Nuss & Helge S. Stein
https://www.nature.com/articles/s41524-024-01286-7
Kontakt
Prof. Helge Stein
E-Mail: helge.stein@tum.de
Dr. Fuzhan Rahmanian
E-Mail: fuzhan.rahmanian@tum.de
Website: https://www.ch.nat.tum.de/digicat