
Lucie Quincke und Steffen Weinmann im Labor der Forschungsgruppe von Prof. Jennifer Rupp. (Foto: Lisa Winkler/TUM)
Keramiken assoziieren wir im Alltag meist mit Kaffeetassen oder Fliesen. In der modernen Materialwissenschaft und Energietechnologie spielen sie jedoch eine weit größere Rolle: Funktionale Keramiken sind unverzichtbare Werkstoffe für Batterien, Elektronik, Luft- und Raumfahrt sowie Hochtemperaturanwendungen – und damit auch für die Energiezukunft.
Ein aktueller Review-Artikel in Nature Nanotechnology rückt diese oft unsichtbaren Materialien gezielt in den Fokus. Die Publikation, die im Team von Prof. Jennifer Rupp an der TU München entstand, analysiert erstmals und systematisch die Nachhaltigkeit funktionaler Keramiken entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette: von der Rohstoffgewinnung über teils energieintensive Herstellungsprozesse bis hin zu Nutzung, Lebensdauer und End-of-Life-Fragestellungen.
Breites Anwendungsspektrum mit hoher Relevanz
Funktionale Keramiken zeichnen sich dadurch aus, dass sie gezielt elektrische, thermische oder chemische Eigenschaften bieten. „Sie ermöglichen unter anderem Kathodenmaterialien für Lithium-Ionen-Batterien, Materiallösungen für Next-Generation-Batterien, Elektronikbauteile wie Multilayer-Kondensatoren, Hitzeschutzbeschichtungen für Turbinen sowie Anwendungen in der Raumfahrt, bei denen extreme Temperaturen und Belastungen auftreten können“, beschreibt Steffen Weinmann, Doktorand in der Forschungsgruppe von Prof. Jennifer Rupp und Head of Engineering beim Start-Up Qkera. „Gerade diese technologische Bedeutung macht deutlich, warum ihre ökologische Bewertung zunehmend an Relevanz gewinnt“, ergänzt Lucie Quincke, die ebenfalls im Arbeitskreis promoviert. Beide sind Erstautoren des Reviews und haben die anspruchsvolle Aufgabe übernommen, dieses sehr heterogene Feld zu strukturieren. Dafür kombinierten sie umfangreiche Literaturrecherche mit zahlreichen internen und externen Gesprächen, um ein möglichst vollständiges Bild zu gewinnen.
Warum dieser Review zu nachhaltigen Materialien notwendig ist
Ausschlaggebend war, dass es bislang keine zusammenhängende wissenschaftliche Analyse zur Nachhaltigkeit funktionaler Keramiken gibt – trotz ihrer wachsenden technologischen Bedeutung. Prof. Jennifer Rupp, die die Idee für den Beitrag initiierte, bringt die Motivation auf den Punkt: „Funktionale Keramiken sind für viele Zukunftstechnologien essenziell. Gleichzeitig fehlte bislang eine systematische Betrachtung darüber, welche Rolle die Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette spielt. Diese Lücke wollten wir schließen. In der Studie bringen wir die Ingenieur- und Materialwissenschaften, die Industrie sowie politische Entscheidungsträger zu diesem wichtigen Thema zusammen.“
Keine einfachen Kernbotschaften
Das Team aus Autorinnen und Autoren vermeidet bewusst vereinfachende Schlussfolgerungen. Stattdessen wird deutlich, dass funktionale Keramiken extrem divers sind – in vielerlei Hinsicht. „Eine zentrale Botschaft im klassischen Sinne gibt es meiner Meinung nach gar nicht“, erklärt Lucie Quincke. „Das Spektrum an Anwendungsgebieten, Prozessen und Optimierungsoptionen ist so groß, dass ein einheitliches Bild kaum möglich ist – genau das spiegelt unser Review wider. Direkte Vergleiche zwischen Technologien gestalten sich als sehr herausfordernd, da sich viele Ansätze noch in frühen oder stark unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden.“ Gerade diese Heterogenität erschwert es, belastbare Abschätzungen vorzunehmen. Viele Technologien befinden sich noch in der Entwicklung, und belastbare Lebenszyklusdaten fehlen häufig oder sind nicht standardisiert.

Historische Entwicklung von Struktur- und Funktionskeramik von ihren Anfängen bis heute. (Quelle: siehe Review)
Energieintensive Herstellungsprozesse als Schlüsselfaktor
Hochtemperaturverfahren und komplexe Prozessketten dominieren bislang die industrielle Praxis – und sind ein Hauptgrund dafür, dass traditionelle Herstellungsverfahren funktionaler Keramiken energieintensiv sind und einen hohen CO2-Fußabdruck haben. „Dennoch konnten wir während unserer Recherche eine enorme Zahl an Stellschrauben identifizieren, an denen angesetzt werden kann – insbesondere, um Energieverbrauch und Emissionen zu reduzieren“, sagt Steffen Weinmann. Der Review zeigt, dass neue Prozessrouten, alternative Sintermethoden und materialeffiziente Designs erhebliche Nachhaltigkeitspotenziale eröffnen.
Einordnung aus Sicht der Fachcommunity
Die Relevanz des Themas wird durch einen begleitenden Leitartikel des Senior Editors Rinaldo Raccichini von Nature Nanotechnology zusätzlich unterstrichen. Darin wird Nachhaltigkeit als entscheidender Faktor für die technologische Reife zukünftiger nanotechnologischer Anwendungen hervorgehoben. Raccichini plädiert dafür, Nachhaltigkeitsaspekte frühzeitig in Forschungs- und Entwicklungsprozesse zu integrieren, um die Voraussetzungen für langfristig erfolgreiche und gesellschaftlich akzeptierte Technologien zu schaffen. „Wir liefern mit unserem Review wichtige Impulse für Forschung, Industrie und Politik – und machen deutlich, dass die Energiewende nicht nur eine Systemfrage, sondern auch eine Materialfrage ist“, betont Jennifer Rupp. „Dass diese umfassende Analyse von einem Team von Nachwuchsforschenden erarbeitet und in Nature Nanotechnology veröffentlicht wurde, unterstreicht die wissenschaftliche Qualität und strategische Relevanz ihrer Arbeit – und setzt ein starkes Signal für die Weiterentwicklung nachhaltiger Materialforschung.“
Publikation:
Steffen Weinmann, Lucie Quincke, Lisa Winkler, Jesse J. Hinricher, Fran Kurnia, Kun Joong Kim, Jennifer L.M. Rupp: Sustainable functional ceramics. Nature Nanotechnology (2025) https://doi.org/10.1038/s41565-025-02076-y
Kontakt:
Prof. Dr. Jennifer L.M. Rupp
Technische Universität München
TUM School of Natural Science
Lehrstuhl für Chemie der Festkörperelektrolyte
Website: https://ecm-tum.de/
E-Mail: jrupp@tum.de